25. Mai 2023

Richtig gut entscheiden

Wenn eine Patientin oder ein Patient mit Lungenkrebs operiert werden kann, kommt Thoraxchirurg Thanh-Long Nguyen ins Spiel. Das Patientengespräch ist ein wesentlicher Teil seiner Arbeit. Die Betroffenen müssen verstehen, bevor sie entscheiden.

«Die Leute glauben, ein Chirurg stehe die meiste Zeit im Operationssaal. Dabei verbringe ich 90 Prozent meiner Zeit in Sprechstunden mit Patientinnen und Patienten oder bilde junge Ärztinnen und Ärzte aus.» Thanh-Long Nguyen ist stellvertretender Oberarzt an der Universitätsklinik für Thoraxchirurgie des Inselspitals. Bei Lungenkrebs entfernt er jenen Teil des Lungengewebes, in dem sich ein Tumor eingenistet hat.

In der Sprechstunde

Er kennt alle Patientinnen und Patienten, ihre Geschichte, ihre Herkunft und meist auch ihre Angehörigen, da sie vor einer Operation zu ihm in die Sprechstunde kommen. Er fragt jeweils, wieviel sie von der bevorstehenden Krebsbehandlung verstanden haben: «Wissen Sie, weshalb Sie hier sind? Was haben Sie bisher mitbekommen?»

Fakt sei: Die meisten hätten fast nichts verstanden. «Bei Lungenkrebs spüren die Betroffenen keine Symptome. Sie fühlen sich gut. Für sie ist schwer nachzuvollziehen, weshalb plötzlich eine Operation angezeigt ist.»

Alles erklären – auch die Folgen

Thanh-Long Nguyen geht mit ihnen die Lungenstruktur durch, zeigt ihnen, was machbar ist und wie. Er erläutert auch, warum das Tumorboard (Erklärung siehe unten) diese Behandlung empfohlen hat. Auch die Folgen einer Operation kommen zur Sprache.

Einen ganzen Lungenlappen oder gar einen Lungenflügel zu entfernen, verändert das Leben von Betroffenen wesentlich. Vereinfacht gesagt bedeutet weniger Lunge weniger Atmung. Sie werden weniger leistungsfähig sein als bisher.

Lebensqualität vor allem

Thanh-Long Nguyen hat immer die Lebensqualität eines Menschen nach einer Lungenkrebsbehandlung im Auge. Nicht immer ist eine Operation das Beste. Wenn beispielsweise jemand hört, dass er nach der Behandlung auf Sauerstoffgeräte angewiesen sein wird, entscheidet er sich womöglich gegen eine Operation oder für eine andere Behandlungsmethode, zum Beispiel eine Bestrahlung.

«Auch kommt es vor, dass ich Menschen vor mir habe, deren Gesundheit zu schwach ist oder die ein hohes Alter haben. Ich gebe im Gespräch immer Optionen. Operieren ist eine davon. Dann können Betroffene wählen», sagt Thanh-Long Nguyen. Er empfehle. Aber der Entscheid liege immer bei der Patientin oder dem Patienten.

Vorbereitung

Am Tag vor dem chirurgischen Eingriff bereitet er sich akribisch vor – gemeinsam mit der Ärztin oder dem Arzt, die oder der ihm während der Operation assistieren wird. Sie gehen die Strategie der Schritte anhand von Bildern von Computertomografie-Scans durch, legen etwa fest, welchen Bereich der Lunge es betrifft und wo die Grenze ist, bis zu der ein Bereich entfernt werden muss.

Sie planen, wo eingefärbt, abgedichtet oder verschlossen wird. Sie überlegen sich auch, aus welchem Winkel die Kamera den besten Blick auf das Geschehen zulässt. «Ich kann mir die Dinge sehr gut räumlich vorstellen», sagt Thanh-Long Nguyen.

Konzentration und rasche Entscheide

Leise Musik begleitet die meisten Operationen. Die Beteiligten stehen eng beieinander. Eine Person hält die Kamera, die andere bedient die Instrumente. Etwa zwei Stunden dauern Operationen bei Lungenkrebs.

Wer operiert, muss bereit sein, schnell den Plan zu ändern. Es können Komplikationen auftreten. Oder das Gewebe sieht anders aus als auf den Bildern von Computertomografie-Scans . «Wir können uns nicht immer daran halten, was wir ursprünglich geplant hatten. Gute Chirurgen treffen rasch die richtigen Entscheide.»

Thanh-Long Nguyen achtet darauf, dass sich das Team im Operation-Saal wohl fühlt, damit konzentriertes, effizientes Arbeiten möglich ist. Wenn jemand im Team nicht 100-prozentig präsent ist oder eine Pause benötigt, kann er unterbrechen. «Manchmal kommt es vor, dass wir vor einem schwierigen Entscheid stehen, diesen aber nicht innert Sekunden treffen müssen. Dann schlage ich ebenfalls ein kurzes Time-out vor. »

Telefon danach

Am Ende der Operation telefoniert Thanh-Long Nguyen mit den Angehörigen direkt aus dem Operation-Saal, falls gewünscht. Er berichtet, wie alles verlaufen ist, wohin eine Patientin verlegt wird, ab wann sie aufwachen wird und besucht werden kann. «Ruhen Sie sich erstmal etwas aus», rät er dann.

University Cancer Center Inselspital (UCI)

UCI – Das Tumorzentrum Bern ist ein führendes Schweizer Zentrum für die Diagnose und Behandlung von Krebs. Patientinnen und Patienten mit einer Krebserkrankung finden am Tumorzentrum Bern ein breites Angebot von individuell zugeschnittenen Therapieansätzen. In zwölf Organzentren werden sie von hochspezialisierten Teams betreut.www.tumorzentrum.insel.ch