7. Mai 2022

«Die Prognosen sind besser als früher»

Wenn die Gyn-Onkologin Sara Imboden ihre Patientinnen zum ersten Mal vor der Operation begrüsst, befinden sich diese in einer äusserst beunruhigenden Gemütslage. Erhärtet sich der Verdacht auf Eierstockkrebs?

Die junge Chirurgin, die mir am Nachmittag entspannt gegenübersitzt, hat eine mehrstündige Operation hinter sich. Dennoch wirkt sie frisch, aufmerksam und interessiert.

Beängstigende Diagnose

Sara Imboden ist Leitende Ärztin an der Frauenklinik. Hier habe sie zwei «Standbeine», sagt sie, zum einen die gynäkologische Onkologie, also die Behandlung von Krebsarten der weiblichen Geschlechtsorgane. Das andere Standbein ist eine Krankheit, bei der die Gebärmutterschleimhaut wächst oder wuchert, wo sie nicht hingehört, nämlich ausserhalb der Gebärmutter: die Endometriose.

Sie arbeitet im Gynäkologischen Krebszentrum, in einem hochspezialisierten Team, das auch Frauen mit Eierstockkrebs behandelt. «Ich bin vor allem chirurgisch tätig», sagt sie. Als Frau sei dies in der Schweizer Frauenheilkunde noch immer aussergewöhnlich.

Wenn Sara Imboden ihre Patientinnen zum ersten Mal sieht, haben diese eine beängstigende Verdachtsdiagnose erhalten. Sie sind gestresst und beunruhigt.

Stress durch Unsicherheit

«Das ist das Schwierigste», sagt Sara Imboden. «Die Frauen haben noch keine Gewissheit: Ist es Krebs oder nicht? Ihre Hausärztinnen oder Gynäkologinnen haben bloss einen Verdacht äussern können, da für diesen Krebs die Symptome häufig unklar und wenig spezifisch sind. Zudem kann die Erkrankung ja lange ganz ohne Symptome verlaufen.»

Nun sind sie in die Frauenklinik gekommen und sitzen plötzlich der Chirurgin gegenüber. Dabei bleibt vieles offen. «Ich kann noch nicht konkret Auskunft geben», sagt Sara Imboden. Sie könne nur Möglichkeiten beschreiben.

Das Aufklärungsgespräch mit Sara Imboden ist für Patientinnen aufwendig und anstrengend. Es kommt sehr viel Information aufs Mal auf sie zu. Sie lernen die verschiedenen Varianten der Behandlung kennen und geben schliesslich ihr Einverständnis. Das ist nicht einfach. Sara Imboden sagt: «Man muss sich vorstellen, dass eine Frau mit einem unklaren Verdacht ins Spital kommt und gleich zu einer mehrstündigen Operation ja sagen soll.»

Behandlung

In den meisten Fällen wird Eierstockkrebs behandelt, indem der Tumor in einer Operation entfernt wird. Doch erst muss eine eindeutige Diagnose vorliegen. Aus dem Verdacht muss Gewissheit werden, dazu muss das Gewebe zunächst untersucht werden. Nach der Operation folgt meistens eine Chemotherapie.

Eine Besonderheit bei dieser Krebsform ist es, dass Gewebeuntersuchung, Befund (gutartig oder bösartig?) und dann Entfernen des Tumors in ein und derselben Operation geschehen kann, wenn die Patientin dazu ja gesagt hat. Das erspart ihr einen zweiten Operationstermin.

Das alles kann für Betroffene überfordernd sein. Sara Imboden rät ihnen dann: «Schauen Sie nicht zu weit in die Zukunft. Gehen Sie in Gedanken Schritt für Schritt und denken Sie erstmal nur bis zur OP. Danach schauen wir weiter.»

Von Auge erkennbar

Das Entfernen von Eierstocktumoren kann ausgedehnte Operationen bedeuten, grosse Eingriffe, wenn sich herausstellt, dass mehrere Organe und Gefässe betroffen sind. Sechs bis acht Stunden Dauer sind für Sara Imboden und das Operations-Team keine Ausnahme.

Sara Imboden erkennt die Tumore von Auge als weisse Zellhaufen. «Sie sehen aus wie Schneegestöber», sagt sie. Dabei ist jeder Tumor anders. Jeder Tumor hat seine eigene Biologie. Ein Eierstockkrebs kann sich im ganzen Bauchraum ausbreiten. Wichtig ist, dass Sara Imboden ihn möglichst vollständig entfernt.

Immer ein ganzes Team

Nach der Operation, wenn die Patientin auf der Bettenstation liegt, wird ihr Fall besprochen. Jede Woche montags findet die Tumorkonferenz (das Tumorboard) für gynäkologische Tumore statt. Sara Imboden leitet sie. 15 bis 20 Fachleute diskutieren jeden einzelnen Fall. «Alle denken mit und bringen ihre Expertise ein», sagt sie.

Denn es gibt ja keine Standardbehandlung, die für alle Frauen jeden Alters gilt, trotz internationaler medizinischer Leitlinien. Für jede Patientin wird einzeln abgewägt, von welcher Therapie sie am meisten profitiert. Am Schluss wird gemeinsam entschieden, wie eine Patientin weiter behandelt wird.

Erfahrung

Das ist der grosse Vorteil eines Tumorzentrums: hochspezialisierte, erfahrene Fachleute aus unterschiedlichsten Berufsgruppen kümmern sich gemeinsam um eine Patientin. Sie sind sich gewohnt, in Teams zu arbeiten und treffen sich wöchentlich. Sie verfügen gemeinsam über die Erfahrung, um die Patientin richtig zu beraten und zu behandeln.

Heute mehr Möglichkeiten als früher

In den letzten Jahren habe sich viel verändert in der Behandlung, sagt Sara Imboden. «Die Prognosen sind besser geworden, die Behandlung ist personalisierter. Es gibt mehr Möglichkeiten.» So kann man heute immer häufiger gezielte Therapien wie die Erhaltungstherapie anbieten. Eine Erhaltungstherapie kann die Ergebnisse einer Behandlung verbessern. Oder sie kann die Zeit verlängern, in der ein Tumor unter Kontrolle ist. Betroffene Frauen können damit eine bessere Lebensqualität erreichen.

Zur Person

«Ich identifiziere mich sehr mit der Frauenklinik», sagt Privatdozentin Dr. med. Sara Imboden. Sie trete gerne in der Öffentlichkeit auf, etwa in Fernseh-Beiträgen. «Das gehört ein Stück weit zu meiner Funktion».

Sie ist leitende Ärztin an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde des Inselspitals und dort stellvertretende Leiterin des Endometriosezentrums. Sie hat nebst dem Facharzttitel in Gynäkologie und Geburtshilfe die Schwerpunkte Gynäkologische Onkologie sowie Operative Gynäkologie und Geburtshilfe.

In ihrer Freizeit zuhause kümmert sie sich um ihren «kleinen Zoo»: einen Esel, einen Hund, eine Katze und ein Pferd. Sie lebt mit ihrem Partner und der siebenjährigen Tochter «etwas abgelegen auf einer Lichtung im Wald» bei Riggisberg.

(Text: Peter Rüegg)

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University Cancer Center Inselspital (UCI)

UCI – Das Tumorzentrum Bern ist ein führendes Schweizer Zentrum für die Diagnose und Behandlung von Krebs. Patientinnen und Patienten mit einer Krebserkrankung finden am Tumorzentrum Bern ein breites Angebot von individuell zugeschnittenen Therapieansätzen. In zwölf Organzentren werden sie von hochspezialisierten Teams betreut. www.tumorzentrum.insel.ch